von Victoria Kaiser

Es begann alles mit dem seltsamen Tod ihrer Mutter. Hans hatte das Gefühl, dass es nicht ein Unfall gewesen war, aber Gretchen, seine Schwester, sprach nicht darüber, wie viel sie gesehen hatte. Immer, wenn er auch nur den Namen ihrer Mutter aussprach, wimmerte sie und floh in den Wald.

Ihre neue Mutter war dünn und hatte ein kantiges, blasses Gesicht. Jedes Mal, wenn die Geschwister in ihrer Nähe waren, begannen ihre Augen hin und her zu zucken und aus ihrem Mundwinkel lief der Sabber.

Eines Tages, während ihr Mann im Wald Holz hackte, führte sie Hans und Gretchen in einen Teil des Waldes, den selbst Gretchen noch nie betreten hatte. Die Bäume waren kahl und Nebelfetzen waberten durch die kalte Luft. „So…“ zischte ihre Stiefmutter und grinste die Geschwister mit ihren spitzen Zähnen an, Spucke hing in langen Fäden von ihrem Kinn. „Jetzt zu euch.“

Gretchen wimmerte. Sie zitterte hemmungslos. Langsam kam die falsche Mutter näher, ihre Schritte waren langsam und schlürfend, die Zähne noch immer gefleckt.

Irgendetwas sagte Hans, dass sie nicht mit ihnen quatschen wollten. Er hatte Angst. Just, als er sich entschieden hatte zu fliehen, schoss die Hand der Frau vor. Ihre spitzen Nägel bohrten sich in Hans Arm. Er hörte einen Schrei und drehte sich um. Panik überflutete ihn, als er sah, dass Gretchen eine tiefe Bisswunde im Arm hatte. Dann konnte er nicht mehr an sich halten.

Er riss sich los, schnappte Gretchens heilen Arm und hetzte mit ihr in den Wald. Hinter ihnen erklang das Heulen ihrer Stiefmutter, aber sie rannten immer weiter. „Wir müssen uns verstecken!“ schrie Hans seiner Schwester zu. Auf einmal kamen sie an eine Lichtung. Die verstümmelten Bäume gaben eine Steinruine frei. Im schwachen Licht der Sonne liefen die Geschwister zur halb verrotteten Tür und öffneten sie in einem Ruck. „Schnell!“, zischte Hans. Er schmiss die Tür hinter ihnen zu. „Hier wird sie uns nicht finden.“

Vor ihnen lag ein gemauerter Flur bei dem fehlende Steine ein wenig Licht hineinließen. Die Schritte der Zwillinge hallten im düsteren Gang wieder, ihre Herzen hämmerten. Auf einmal blieb Gretchen stehen. „Hans“ sagte sie und streckte die Hand aus, „sieh mal.“ Ihre Finger zitterten.

In den Wänden waren tiefe Kratzspuren, so als wäre etwas gegen seinen durch den Flur gezerrt worden. Oder jemand… Hänsel schauderte. Hier bestand der Gang nur noch aus roher Erde. Wo waren sie?

Auf einmal hörte er ein heiseres Kichern. Hans schaute auf. Eine bucklige Frau stand vor ihnen, sie grinste. Zwischen ihren wenigen Zähnen klaffte gähnende Leere. Gretchen war kreidegleich geworden und wich langsam zurück.

Die Hexe bleckte ihre Fangzähne und sprang auf sie zu. Hans stolperte zurück, aber Gretchen blieb stocksteif stehen. Hilflos musste er mit ansehen, wie das Monster seine Schwester in den Tunnel verschleppte.

Am ganzen Leib zitternd schlich er hinterher.

Die Stille dröhnte in seinen Ohren und die Hexe schien hinter jeder Abzweigung zu lauern. Plötzlich entdeckte er ein flackerndes Licht. Gerade als er um die Ecke linsen wollte, hörte er einen markerschütternden Schrei. Er bemerkte, wie etwas dumpf zu Boden fiel und auf ihn zuzurollen begann. Auf einmal lag er vor Hans auf dem Boden, die trüben Augen starrten ihn an. Es war der Kopf seiner Schwester. Hans schrie fast auf, unbändige Panik und Wut erfassten ihn, er schien von innen zu kochen. Zitternd schaute er um die Ecke. Da sah er, woher der flackernde Schein kam. In der Mitte der Höhle war ein riesiges Feuer. Darüber war ein Spieß, über dem etwas brutzelte. Hans zitterte nun, fast hemmungslos. Die kleine Hexe stand mit dem Rücken zu ihm, dich auf einmal drehte sich ihr Kopf mit einem schrecklichen Ächzen und Knacken zu ihm um. Ihre Augen funkelten boshaft und sie bleckte ihre Zähne zu einem furchtbaren Grinsen und dann fing sie an zu gaggern. Schrill. Laut. Kreischend lachte sie. Hans stolperte außer sich vor Panik zurück, und rannte keuchend durchs Labyrinth davon. Eine Stunde brauchte er, um dem lauten Gackern und den schlurfenden Schritten der Hexe zu entkommen. Als er zu Hause ankam, dämmerte es schon.

Das schreckliche Ereignis brannte sich in sein Ende ein, wie in eine CD. Seinem Vater erzählte er nichts, er fing nur an zu zittern, als der fragte, wo seine Schwester denn sei.

Das Ende 🎃